Die Chroniken der Meerjungfrau – Der Fluch der Wellen – Rezension #28

Klappentext: Einst zog ein einsamer Fischer sein Netz an Land und fand darin eine Frau. Eine Frau mit schwarzem Haar und Augen, in denen sich der Sturm des Meeres widerspiegelte. Anstelle von Beinen hatte sie einen Fischschwanz, und obwohl sie die Worte des Fischers nicht verstand, rührte sie seine Einsamkeit, und sie blieb bei ihm. Ihre Liebe dauerte an, bis sein Tod ihn von der unsterblichen Meerjungfrau trennte.

Doch Gerüchte über dieses rätselhafte Wesen sind längst laut geworden – und haben die Aufmerksamkeit eines Mannes erregt, der mit seinem Zirkus durch das Land zieht und den Menschen ihre schlimmsten Albträume hinter Gittern vorführt. Sein Name ist P.T. Barnum, und er sucht eine Meerjungfrau …


Christina Henry gelingt es immer wieder aufs Neue, dem ursprünglichen Erzählstoff all das Märchenhafte zu entziehen und durch eine realitätsnähere, wenngleich auch düstere Fantasie zu ersetzen. So beschreibt sie Amelia nicht als eine betörende Nymphe, sondern vielmehr als eine Kreatur mit spitzen Zähnen, Schwimmhäuten zwischen den Fingern und einem Körper, der gänzlich mit Fischschuppen bedeckt ist.

„Levi?“, fragte er. Er klang nicht wie er selbst. Seine Stimme hörte sich an, als käme sie von sehr weit weg, als müsse sie erst aus seinem Brustkorb klettern.

„Ja, Taylor?“

„Haben wir gerade gesehen, wie sich das Mädchen in eine Meerjungfrau verwandelt hat?“

Levi grinste ihn an. „Ja, Taylor, das haben wir.“

Barnum schwieg kurz. „Hast du die Schuppen gesehen?“

„Ja, Taylor.“

Christina Henry

Die Geschichte der Meerjungfrau ist in drei Teile aufgeteilt. Besonders hervorzuheben ist hier der erste, welcher beinahe legendenartig Amelias Vorgeschichte erzählt.

Neben dem metaphorischen Schreibstil der Autorin kommen die Einzelschicksale der Nebenfiguren jedoch keineswegs zu kurz. Wie ich finde, ist es Christina Henry in diesem Band sehr gut gelungen ihren Charakteren die gebührende Tiefe zu verleihen. So beruht die Figur des P.T. Barnum grundsätzlich auf der realexistierenden Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts, doch anstatt sich mit historischer Genauigkeit aufzuhalten hat Christina Henry, ähnlich wie bei der Figur Levi Lyman, ihrer Fantasie freien Lauf gelassen und ein glaubwürdiges Gesamtkonzept kreiert.

Oh, das war es, weshalb sie immer solche Schwierigkeiten mit Menschen hatte! Alle diese endlosen Regeln, die man befolgen musste, von denen sie die meisten nicht kannte oder nicht interessierten.

Christina Henry

Für mich war es besonders faszinierend mitzuerleben in welche menschlichen Konflikte Amelia gerät, Konflikte geprägt von Liebe und Verlust, Raffgier und Mitleid sowie Etikette und Selbstbestimmung.


Alle bisher erschienenen düsteren Neuerzählungen von Christina Henry:

  • Die Chroniken von Alice – Finsternis im Wunderland 
  • Die Chroniken von Alice – Die Schwarze Königin 
  • Die Chroniken von Alice – Dunkelheit im Spiegelland 
  • Die Chroniken von Peter Pan – Albtraum im Nimmerland 
  • Die Chroniken der Meerjungfrau – Der Fluch der Wellen 
  • Die Chroniken von Rotkäppchen – Allein im tiefen, tiefen Wald

Rezension geschrieben von Annika Lippold

Bildquelle Beitragsbilder: Annika Lippold

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