Hungerwinter – Rezension #8
Germania ist der 2013 erschienene Debütroman von Harald Gilbers und der erste Teil einer Serie von Kriminalromanen rund um den jüdischen Ermittler Richard Oppenheimer im Berlin der 1940er Jahre. Die Folgebände Odins Söhne, Endzeit, Totenliste und der aktuellste Band Hungerwinter, bilden chronologisch die Entwicklungen des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegsjahre ab. Die historischen Ereignisse sind dabei stets mit Kriminalfällen und dem persönlichen Schicksal des Kommissar Oppenheimer verwoben.
Berlin, aufgeteilt in vier Besatzungszonen, liegt in Trümmern, zerbombte Wohnungen sind nur notdürftig hergerichtet. Die Einwohner versuchen, ihr bescheidenes Leben neu einzurichten. Vorkriegsganoven wandeln sich zu zwielichtigen Geschäftsleuten, einst überzeugte Nazis zu unbescholtenen Bürgern. Im November 1947 fällt der erste Schnee, Lebensmittel sind knapp, die Wunden des Krieges noch in ganz Berlin zu sehen und zu spüren – es ist der „Hungerwinter“. Die allgemeine Lage ist völlig unübersichtlich, die Besatzungsmächte arbeiten unkoordiniert, der Beginn des Kalten Krieges zwischen den drei Westalliierten, vor allem den Amerikanern und den Sowjets zeichnet sich schon deutlich ab. Zentrales Thema in dem aktuellsten und fünften Band Hungerwinter (2020) ist der strategische Aufbau der sogenannten „Rattenlinien“ im Nachkriegsdeutschland. Über diese wurden hohe Nazi-Funktionäre und Kriegsverbrecher mit Hilfe deutscher Schleuser nach Übersee geschafft. Der Leser erfährt Interessantes über die politischen Hintergründe und die Motivation der Verantwortlichen und Strippenzieher.
Die Roman-Reihe erfüllt einen hohen historischen Anspruch. Obwohl dabei die Gefahr besteht, dass die kriminalistische Haupthandlung etwas in den Hintergrund gerät, gelingen dem Autor immer wieder spannende Werke mit überraschenden Wendungen bis zur letzten Seite. Es ist vor allem die geschichtliche Kulisse, die den großen Reiz der Reihe ausmacht, kombiniert mit dem packenden Schicksal des sympathischen Kommissars.
Man muss die Vorgänger zu diesem Buch nicht kennen, um in die Geschichte eintauchen zu können. Die Handlung eines jeden Bandes ist in sich abgeschlossen. Für Neueinsteiger werden die Personen hinreichend vorgestellt und für Kenner der Serie gibt es ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Aber Achtung: Wer einen Band gelesen hat, wird alle anderen lesen WOLLEN. Absolute Suchtgefahr, die dem digitalen Binge Watching den Kampf ansagt. Fans der Serie Babylon Berlin, nach den Kriminalromanen von Volker Kutscher, werden hier ein großes Lesevergnügen haben. Doch auch historisch interessierte Leser mit einem Faible für Berliner Mundart, brisante Kriminalfälle und ein wenig Ortskenntnis, kommen bei der Lektüre dieser Reihe auf ihre Kosten und werden an der einen oder anderen Stelle verblüffende, amüsante aber auch erschütternde Dinge der Zeitgeschichte erfahren.
Gute Nachrichten für Fans dieser Reihe und die, die es werden wollen: Luftbrücke, der sechste und vorerst letzte Band um Kommissar Oppenheimer wird im Oktober 2021, ebenfalls bei Droemer Knaur erscheinen. Wir freuen uns darauf und wünschen spannende Lesestunden!
Rezension geschrieben von Laura Haase
Bildquelle Beitragsbilder: Laura Haase